Bananen? Gebogen. Deckel? Fixiert. Soziale Medien: Bitte hier lang!

Gehirnwäsche im Social Media Sonderangebot - Photo: Gaelle Marcel/Unsplash
Gehirnwäsche im Social Media Sonderangebot - Photo: Gaelle Marcel/Unsplash

Blog, 23/01/2025, von Sven Franck (au français, in english)

Die Amtseinführung von Trump verlief mit dem erwarteten Ausmaß an “Hitler-Hoppla”. Während der neue Präsident und seine Social-Media-Stiefellecker die Welt mit dem Äquivalent von Telescreen-Propaganda überfluten, sollte die Europäische Union auf die Weise reagieren, die sie am besten beherrscht: Regulierung. Es genügt nicht, erst dann mit einer Rüge zu drohen, wenn die Medien eine Forderung eines Volt MEPs aufgreifen. Die Kommission sollte soziale Medien als das behandeln, was sie sind – gesundheitsgefährdend.

Regulators!

Vielleicht erinnert sich jemand noch an “Supersize Me” aus dem Jahr 2004. Im Film versuchte der Protagonist 30 Tage lang ausschließlich von McDonald's-Produkten zu leben. Er dokumentiert dabei seinen geistigen und körperlichen Verfall – einschließlich Leberschäden und Herzrasen. Es dauerte 14 Monate, bis er sich von der Rosskur erholt hatte. Ob Burger oder Softdrinks – die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten schützen uns, indem sie chemische Aromen verbieten und Zucker- sowie Fettsteuern erheben. Vergleicht man zum Beispiel (Bonuspunkte für das Erkennen des historischen und Hautfarbe-Kontexts) Fanta in den USA und in Europa gibt es erhebliche Unterschiede.

Zucker, Fett oder Likes – soziale Medien sind wie amerikanisches Junkfood. Genauso abhängig machend und noch schlimmer: jederzeit verfügbar. Wann sieht man heutzutage noch Kinder in einem Restaurant die nicht geistesabwesend von ihren Smartphones aufgesogen werden – wie Stopfgänse einer konstanten Diät aus digitalem Junkfood ausgesetzt, das nicht auf den Hüften, sondern in deren Köpfen landet. Ob Musk, Meta oder TikTok – wir sollten froh sein, wenn unsere Kinder nur nach Dubai-Schokolade verlangen. Die österreichische Tagespresse hat kürzlich festgestellt, dass Jugendliche auf TikTok schon kurz nach der Anmeldung mit rechtsextremem und islamistischen Inhalten überflutet werden. Wollen wir wirklich, dass unsere Kinder so einer Gehirnwäsche unterzogen werden?

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: 2024 verbrachte jeder Internetnutzer zwischen 16-64 Jahren durchschnittlich 2,5 Stunden täglich auf sozialen Medien. 2,5 Stunden “Doom-scrolling”. Der Effekt auf die erwachsene Bevölkerung ist bereits bei Wahlen sichtbar. Die Auswirkungen auf unsere Kinder werden uns noch Kopfzerbrechen bereiten. Und da Social-Media-Plattformen – inklusive China – dem neuen US-Präsidenten schöne Augen machen und nunmehr öffentlich ihre Netzwerke instrumentalisieren, reichen bloße Ermahnungen der Kommission nicht mehr aus. Wenn die EU nicht in der Lage ist, soziale Medien durch Ihre vermeintliche Kernkompetenz “Regulierung” in den Griff zu bekommen, sollten wir uns fragen, wessen Interessen die Kommission eigentlich schützt: die der US-Konzerne oder die der EU-Bürger?

Verpackungshinweis: expliziter Inhalt

Was tun? Zigarettenverpackungen sprechen eine klare Sprache. Die EU-Kommission könnte viel weiter gehen: Der “EU Data Act” zwingt Cloud-Anbieter (wie Google oder Amazon), ihre Clouds zu „öffnen“, damit Nutzer Anwendungen und Daten von einem Anbieter zum anderen migrieren können. Warum nicht die Definition von Cloud-Anbieter erweitern und soziale Medien einbeziehen, um deren geschlossenen Systeme aufzubrechen? Die EU-Kommission könnte ein dezentrales Format wie Mastodons ActivityPub vorschreiben und Plattformen zwingen, Posts frei zugänglich zu machen, sodass Nutzer ihren eigenen Feed auf anderen Plattformen aus Beiträgen von Followern auf X, Facebook etc. zusammenstellen können.

Oder ein Verbot von Bots in Europa. Anonym lesen bliebe möglich, aber wenn man interagieren will – per Like, Kommentar oder Post – muss die Identität zweifelsfrei nachweisbar sein. Bot-Armeen könnten so nicht länger gezielt Inhalte pushen und uns diese aufzwingen. Bonus: Online-Hetze und Drohungen würden drastisch abnehmen, wenn Täter damit rechnen müssten, von den Strafverfolgungsbehörden identifiziert zu werden.

Zuletzt: Wie steht es um digitale Eigentumsrechte? Ist mein Post wirklich “mein Post”, so wie meine DNA-Sequenz meine DNA-Sequenz sein sollte und nicht Eigentum des Unternehmens, das sie sequenziert? Warum sollte ich nicht entschädigt werden, wenn soziale Medien meine Inhalte für KI-Training nutzen? Und warum sollten kritische Plattformen nicht verpflichtet werden, innerhalb von 24 Stunden einen menschlichen Ansprechpartner bereitzustellen, wenn ein Konto gesperrt wird – mit entsprechenden Strafen bei jedem Verstoß?

Europa muss kein “Follower” des neuen Amerikas werden. Die Europäische Kommission ist nicht machtlos – und wir sind es auch nicht. Wir können Initiativen wie HelloQuitX nutzen, um zu Plattformen wie Bluesky oder Mastodon umzuziehen. Wir könnten sogar komplett auf soziale Medien verzichten – und so jeden Tag 2,5 Stunden Freizeit gewinnen – um ein Buch zu lesen (falls wir das noch können) oder mit echten Menschen zu sprechen (falls wir noch wissen, wie). Versuchen wir doch in Europa, sozial ohne Medien zu sein. Und wenn die EU-Kommission unsere Interessen nicht schützt, dann lasst sie uns abwählen – bei jeder nationalen Wahl. Damit wir bei der nächsten Europawahl 2029 eine Kommission einfordern können, die unsere Interessen wahrt.