Wo zum Teufel ist Europa?

Blog, 09/04/2025, von Sven Franck (en français, in english)
TL;DR - Europa verspielt wieder eine Chance, sich als geopolitischer Akteur zu etablieren und die Präsidentschaft Trumps zu nutzen, um den Aufstieg rechtsextremer Bewegungen in den Mitgliedstaaten zu stoppen. Die Schuld liegt nicht in Brüssel, sondern in den Mitgliedstaaten, die nicht bereit sind, das europäische Projekt voranzubringen.
Die Börsenkurse weltweit brennen maga-rot, nachdem US-Präsident Trump die Zollkeule ausgepackt hat, um sich dann, Nero lässt grüßen, zum Golf-Wochenende zu verabschieden. China reagiert mit Gegenmaßnahmen. Die Europäische Union reagiert gar nicht. Mal wieder…
It’s the economy, stupid!
Selbst wenn man dem Mantra der EU-Mitgliedstaaten folgt, Europa nur “dem Namen nach” stärker zu reden, kann niemand leugnen, dass wir uns auf wirtschaftlichem Terrain befinden – und der Ball durch den Strafraum der Europäischen Union kullert. Andernfalls könnten wir auch Irland folgen und die US-Tech Bros schonen, oder Deutschland, das Risiken für die Autoindustrie minimieren will. Genau da hätte Trump uns gerne – gespalten, und jeder von uns zieht den Kürzeren.
Muss nicht sein. Brexit lässt grüßen. Da hat die EU klare Kante in Sachen Handel gezeigt. Die USA legen gerade einen globalen Brexit hin und Europa bleicht vor Schreck das Blau aus der Fahne? Zugegeben, Trump hat den Wasserspiegel gesenkt und die EU in all der "Souveränität" nackt dastehen lassen, die Regierungen meist groß anpreisen während ihre Ministerien Microsoft-Software und F-35-Kampfjets einkaufen, als gäbe es keine europäischen Alternativen.
Am Ende haben wir eben Staatsoberhäupter gewählt, für die Europa lediglich Kundendienst für ausländische Wirtschaftsmächte bedeutet. Der Mangel jedweder Vision und Ambition für ein vereintes, politisches Europa holt uns gerade ein wie geschundene Verteidigungsausgaben: im Ausland, wo uns ein wenig „Einheit“ gut zu Gesicht stehen würde, aber auch zu Hause, wo wir Wahlversprechen brechen müssen - siehe Kanzler Friedrich Merz, der die Schuldenbremse nicht antasten wollte – nur um genau das nach seiner Wahl zu tun. Seine Partei stürzt ab wie der Aktienmarkt und ist erstmals auf Niveau der rechtsextremen AfD. Da geht noch was.
Never let a good crisis go to waste
Als die USA in den 1970ern strikte Exportkontrollen für Kryptografie einführten, verließen viele betroffene Unternehmen einfach das Land. Der Handel findet Wege um dumme Gesetze herum und die USA machen nur 13 % des weltweiten Handels aus. Die ganze Welt hat eine Breitseite kassiert – warum nicht eine neue Freihandelszone ohne die USA gründen? Zusammen mit einer WTO-Reform hin zu Mehrheitsentscheidungen. Und da der Wert des US-Dollars inzwischen von Tweets abhängt, könnte Europa sogar für einen stabilen Währungskorb als neue globale Reserve plädieren.
Die USA hätten wahrscheinlich nicht einmal Einwände, wenn Europa auf der kommenden UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung seine eigene sowie die Entwicklungshilfe der Mitgliedstaaten unter einer gemeinsamen „EUAid“-Initiative bündelt um das gestoppte USAid Programm zu ersetzen. Selbst mit 800 Milliarden Euro für die Bewaffnung macht Europa außenpolitisch keinen Erstschlag. Warum nicht auch unsere “Soft Power” stärken, indem wir unsere 27+1 Initiativen unter einem Dach vereinen? Gleiches gilt für Radio Free Europe – die „Stimme der freien Welt“, die ebenfalls verstummt ist, nachdem der lauteste Verfechter freier Meinungsäußerung die Finanzierung gestoppt hat.
Wenn Europa richtig „Union“ machen würde, könnten wir sogar innerhalb unserer Grenzen Wunder bewirken. Die Regierungen spielen nicht nur bei den Themen Entwicklungshilfe und Verteidigung „27+1“, sondern weigern sich auch seit langem, unseren Binnenmarkt zu einem tatsächlichen Binnenmarkt zu entwickeln. Das verursacht zusätzliche Kosten und Bürokratie für Unternehmen und Verbraucher in Höhe von 2,8 Billionen Euro - pro Jahr, wohlgemerkt. Mit einem starken Binnenmarkt können wir externe Schocks besser abfedern – vorausgesetzt, unsere Staatsoberhäupter akzeptieren die überfällige europäische Integration.
Wo ist ein Bauhaus, wenn man es braucht?
Und damit zum Kern des Problems: Where the f… is Europe? Statt strategischer Initiativen beschränkt sich die EU auf Phrasen dreschen. Europäische Verteidigung oder Cloud? Am Ende bitte nicht im Arbeitsprogramm 2027 mit voraussichtlichem Projektstart zum Ende von Trumps Amtszeit? Denn trotz vorhandener Gesetze wie dem Digital Services Act, setzen wir diese nicht ein, um den politischen Einfluss anderer Staaten über soziale Medien in Europa einzudämmen. Wir haben sensible Daten zu schützen, und obwohl die rechtliche Grundlage für Datentransfers in die USA auf wackeligen Füßen steht, machen wir weiter als gäbe es kein Morgen? Ernsthaft?
Wer ist Schuld? Nicht nur Brüssel. Die Passivität Europas liegt zum Großteil an den Mitgliedstaaten. Wir haben ein Spitzenkandidaten-Verfahren, um den Kommissionspräsidenten über eine Mehrheit im Europäischen Parlament zu bestimmen. Wenn man eine so legitimierte Person – rechenschaftspflichtig gegenüber dem Parlament und letztlich den Bürgern – durch eine Kandidatin der einflussreichsten Mitgliedstaaten austauscht, wie Ursula von der Leyen, dann ist diese Person immer von der Gunst ihrer Königsmacher abhängig. Europa wird also nicht für Einheit oder seine Bürger handeln – sondern eben für die deutsche Autoindustrie.
Apropos versäumte Chancen: Die globale extreme Rechte ist „Maga ist bis ins Mark”. Nur spricht keine darüber. Nach wie vor verweigern Staatsoberhäupter eine transnationale Antwort auf Nationalismus und ignorieren den Zusammenhang zwischen Trump und ihren jeweiligen Angstgegnern, die oft unübersehbar von einem käseköpfigen Musk unterstützt werden. Ob AfD in Deutschland oder LePen in Frankreich – wir alle haben unsere „Supertrumps“, die nur darauf warten, Gesellschaften zu zertrümmern, Wohlstand zu vernichten und Demokratie samt Institutionen abzubauen, sodass man als Bürger nichts dagegen unternehmen kann. Worauf warten die Mitgliedstaaten noch? Kann die Europäische Kommission bitte für Europa einstehen? Und können wir bei den nächsten Wahlen endlich neue Parteien wählen?