Neujahrswünsche: mehr Europa, weniger Plastikverschlüsse
Blog, 09/01/2025, von Sven Franck (französische Version hier, englische Version hier)
Ein weiteres Jahr abgehakt. 2024 has left the Building, und unsere Blicke richten sich gespannt auf die Umrisse von 2025, das sich langsam aus dem winterlichen Nebel schält. Mein Blick hängt stattdessen am selbstgefälligen Post der EU Kommission und der Harmonisierung des USB-C-Steckers. Und während ich den nervigen Plastikdeckel von meiner Wasserflasche abzuziehen versuche, frage ich mich: Seit wann zählen eigentlich Plastikverschlüsse und Stecker zu den großen Errungenschaften Europas? Geht da noch mehr?
Das Europa von heute erinnert stark an unsere Autoindustrie, die kreatives Scheinwerferdesign als große Innovationen verkauft, während andere längst dabei sind, Mobilität neu zu erfinden. Diese "Innovatoren" aus den USA, China und Russland arbeiten gezielt daran, die Demokratie und die Europäische Union auseinanderzubrechen. Warum schaut Europa nur zu? Selbst Angela Merkel, die kaum als Vorkämpferin des Wandels in die Geschichte eingehen wird, mahnte: "Wir müssen die politische Gestalt Europas ständig im Einklang mit der Zeit erneuern." Diese "Zeit" wartet schon lange an der Supermarktkasse darauf, dass sie jemand abholt, doch leider scheint keiner unserer politischen Führer die Botschaft zu verstehen. Stattdessen wird sich gebrüstet: Während wir uns an den letztes Jahr verstorbenen Jacques Delors erinnern, einen der Kommissionspräsidenten, der das europäische Projekt signifikant voranbrachte, reihen sich seine selbsternannten geistigen Erben ein: Olaf Scholz, dem Europa völlig egal ist, Emmanuel Macron, der daran scheiterte, Europa in eine größere Version Frankreichs zu verwandeln, und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die ihre historische Rolle verweigert und Europa stattdessen zu einem bürokratischen Bauhaus macht, das von Fäden zusammengehalten wird, die hinter verschlossenen Türen von den Mitgliedstaaten gezogen werden.
Europa muss sich weiterentwicklen. Aber stattdessen sitzen wir untätig herum, wie Autoscooter ohne zu fahren, aber mit 27 Fahrern, die jederzeit überlegen, den Rückwärtsgang einzulegen. Europas „Karosserie“ hat so schon einige Beulen abbekommen – durch opportunistische Gegner und unsere schwachen politischen Vertreter. Und während wir alle wahrscheinlich den Plastikdeckel von unseren Flaschen abreißen, um symbolisch das vergangene Jahr hinunterzuspülen, frage ich mich: Wann geht Europa endlich den nächsten logischen Schritt?
Could the real European please stand up?
Ein anderer europäischer Gründerväter weist uns den Weg: Jean Monnet wird mit den Worten zitiert, er sei "nicht optimistisch, sondern entschlossen". Ist besser so. Wir spielen mit einem schlechten Blatt und haben Scholz, Macron und von der Leyen als unsere besten Karten, plus einige Orbáns, Ficos und jetzt auch Kickls. Wir können zwar ablegen, aber egal welche Farbe wir ziehen – wenn wir aus dem bestehenden Stapel nachziehen, landen wir womöglich bei Merz und Lindners, Mélenchons und Le Pens. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass wir nicht besonders gut im Bluffen sind, um etwas auch nur ansatzweise Europäisches mit solchen Karten durchzubringen.
Wenn Europa „innovativ“ sein will, müssen wir das Spiel verändern: Neue Stapel. Neue Karten. Ein anderes Spiel. Wer spielt? Hier kann ich den Propheten mimen: Wenn wir weiter auf dem Oberdeck Popcorn knabbern, während das europäische Schiff sinkt, sollten wir uns nicht beschweren, wenn unsere Füße und unser Popcorn früher oder später nass werden. Trocken bleiben heißt, für Alternativen zu stimmen, die eine europäische Agenda vorantreiben. Und wir müssen selbst Verantwortung übernehmen – ein neues Jahr ist auch ein Moment für gute Vorsätze. Zum Beispiel damit aufzuhören, Politik nur zu kritisieren, und stattdessen selbst aktiv zu werden, um Politik wieder zu der qualitativ hochwertigen Angelegenheit zu machen, die wir heute so dringend brauchen. Europa braucht uns.
Es ist Zeit für einen neuen europäischen Elan
Und auch wenn Du nicht direkt Ursula von der Leyen für das Amt der Kommissionspräsidentin herausfordern wirst (warum eigentlich nicht...), braucht es einiges an Chuzpe. Extremisten in ganz Europa zögern nicht, ihre Ambitionen zu bepreisen, Spaltung zu säen und unsere Union auseinanderzunehmen. "Divided we fall". Deshalb sollten auch all jene nicht zögern, die glauben, dass wir geeint sein müssen, um unsere gemeinsamen Herausforderungen zu bewältigen. United we stand. Die Europäische Union muss sich weiterentwickeln. Nicht das ewig gepredigte „Harder, Better, Faster, Stronger“, sondern ein echtes Upgrade. Dieses Upgrade wird nicht von nationalen Parteien kommen, die hinter verschlossenen Türen die Fäden ziehen und wie unsere Autoindustrie agieren. Wenn wir neue europäische Fähigkeiten entwicklen wollen, wie etwa eine europäische Außenpolitik, die verteidigt, was wichtig ist, von Demokratie bis zu Menschenrechten, und die für diese Ideen in und außerhalb Europa einsteht, müssen wir innovieren.
Innovation heißt nicht, Lippenbekenntnisse zu Vertragsänderungen abzugeben. Im Gegenteil: Wenn der amtierende US-Präsident Trump Dänemark dafür kritisiert, Grönland nicht zu verteidigen, machen wir es doch. Wollen wir zum Jahresbeginn einfach mal davon ausgehen, dass die 27 nationalen Regierungen sich vielleicht sogar darauf einigen könnten, eine EU-Battegroup nach Grönland zu entsenden. Die Battelgroups sind seit ihrer Gründung einsatzbereit und wurden noch nie in einen Einsatz geschickt. In Grönland würden sie zumindest in einem Gebiet mit einem großen „Not for Sale“-Schild untätig herumstehen. Sollte die Idee an einem slowakischen Veto scheitern, würde ich einige Mitgliedstaaten, die ständig eine europäische Verteidigung propagieren bitten, Dänemark doch zu unterstützen und unsere europäischen Außengrenzen (was für ein Konzept) mit einer Reservefregatte und Drohnen zu schützen – vielleicht sogar unter europäischer Flagge.
Oder der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in dem Europa nicht teilnehmen darf. Es wird wohl nicht Frankreich sein, das seinen ständigen Sitz an Kaja Kallas abtritt (warum eigentlich nicht...), um Yanis Varoufakis eines Besseren zu belehren, aber vielleicht gibt es kleinere EU-Mitgliedstaaten, die bereit wären, das Ungehörte zu tun – ihre grundlegenden außenpolitischen Erwartungen zu definieren und die EU sie im Sicherheitsrat vertreten zu lassen. Was für ein Gamechanger wäre das – und wie unangenehm für die ewigen Sonntagsredner eines „stärkeres Europa“, die sich plötzlich mit konkreten Taten auseinandersetzen müssen.
The blue star-spangled banner shall wave
Der Jahresbeginn ist in Frankreich traditionell die Zeit der „voeux“ – Wünsche an die Bevölkerung für das kommende Jahr. Es ist eine Tradition, einen positiven Ausblick zu geben und alle zusammenzubringen. Hier sind meine Wünsche: Lasst 2025 das Jahr sein, in dem wir erkennen, dass wir zu einem stärkeren Europa beitragen können ohne Europäische Verträge ändern zu müssen. Europa steckt nicht in einer Sackgasse. Die nationale Politik steckt fest, immer noch von neuen Scheinwerfern überzeugt. Lasst 2025 daher auch das Jahr sein, in dem wir die europäische Politik neu erfinden. Wir können das selbst tun. Entschlossen. Und mit Blick auf die entscheidenden Wendepunkte in den kommenden Wahlen. Eine erste Chance, die obigen Karten neu zu mischen, sind die vorgezogenen Wahlen am 23. Februar in Deutschland, gefolgt von den voraussichtlichen vorgezogenen Wahlen in Frankreich im September und den Parlamentswahlen in Tschechien im Oktober.
Es muss klar sein: Europa geht nicht um Plastikdeckel. Es geht um eine Idee von Gesellschaft, um Sicherheit und um die Prinzipien der Demokratie. Lasst 2025 das Jahr sein, in dem wir aktiv beginnen, diese Ideen zu verteidigen. Indem wir uns nicht einschüchtern lassen und für eine positive Zukunft und proeuropäische Politik stimmen. Macht mit!